ST. PÖLTEN. Besonders in Wien als auch im Osten und im Zentralraum Niederösterreichs ist zu beobachten, dass mit den Kindern zunehmend nach der Schrift anstatt im Dialekt gesprochen wird. Folglich verschwindet dieser immer mehr aus dem Alltag. Tips befragte den St. Pöltner Dialektdichter Roul Starka über diesen Trend und mögliche Auswirkungen.

 

Roul Starka arbeitete in den 80er-Jahren als DJ in Österreich und Italien sowie als Radiomoderator in Sizilien. In den 90ern studierte er Schauspiel am Volkstheater Wien und am Berliner Schlossparktheater. Später begann er zu schreiben, hielt Lesungen, schrieb Theaterstücke und verfasste sowohl Dialekt- als auch Gedichte in Schriftdeutsch. Starka gilt auch als Erfinder des im Dialekt gesungenen St. Pöltner Chansons, das er bei seinen Konzerten vorträgt. „Ich habe einmal ein Lied auf Hochdeutsch geschrieben, aber irgendwas kam einfach nicht rüber. Mit Dialekt habe ich viel schneller Kontakt zum Publikum“, erklärt der 54-Jährige, warum er St. Pöltnerisch in seinen Liedern bevorzugt.

 

Dialekt ist emotionaler als Hochdeutsch

 

Dass viele Eltern heutzutage nur mehr nach der Schrift mit ihren Kindern sprechen, ist für Starka mit Nachteilen verbunden. Der Dialekt würde damit nicht nur aussterben, auch die Authentizität der Eltern würde darunter leiden. „Dialekt ist emotional in jeder Richtung. Er kann böse sein, aber auch das Liebevollste, was es gibt.“ Die Kinder sollten daher sowohl auf Hochdeutsch als auch im Dialekt erzogen werden, meint Starka, in dessen Elternhaus auf eben diese Weise kommuniziert wurde. Eine große Rolle spiele der Dialekt auch beim Aufeinandertreffen von Menschen verschiedener sozialer Schichten. „Mit dem Dialekt kann man sehr viel signalisieren. Wenn ein Bürgermeister nicht ‚Guten Tag‘, sondern ‚Griaß di‘ sagt, ist das ein Zeichen von Vertrautheit. Ich fände es sehr schön, wenn Eltern das an ihre Kinder weitergeben könnten.“

 

Viele Künstler wurden mit Dialekt berühmt

 

Einen Grund dafür, dass viele Eltern ihre Kinder nach der Schrift erziehen, sieht Starka in der Angst der Eltern, der Dialekt sei etwas sozial Niederes oder Schwaches und würde ihr Kind sozial abwerten. „Ich halte das für einen Blödsinn. Alle großen Schauspieler wie Otto Schenk waren begeisterte Dialekt-Sprecher. Auch die Künstler des Austropop sind mit dem Dialekt erfolgreich und berühmt geworden. Fendrich beispielsweise mit seinem näselnden Döblinger-Wienerisch und Ambros mit seinem Brutal-Wiener Dialekt“, sagt Starka. Im Gegensatz dazu gäbe es heute Wiener Schauspielschüler, die nach Ottakring oder Penzing fahren müssen, um den Dialekt zu lernen und um Stücke von Nestroy spielen zu können. „Wenn ich in meinem eigenen Land den Dialekt lernen muss, ist das schon traurig“, bemerkt der Dichter dazu.

 

Gigerer, aufpudln, Strizzi, Tschurifetzen

 

Die österreichischen Dialekte verfügen über einen eigenen Wortschatz, der Tausende Jahre zurückgeht, erzählt Starka. Im Vielvölkerstaat der k. u. k. Monarchie entwickelte sich aufgrund der Sprachenvielfalt eine große Anzahl verschiedener Dialektausdrücke. Daher findet er es besonders schade, dass mit dem Rückgang des Dialekts ein Großteil davon verloren geht. „Wir haben jetzt nur mehr einen Bruchteil der Dialekt-Wörter, die es vor 200 oder 300 Jahren gab. Ausdrücke wie der Gigerer (Pferdefleischhauer) aus dem Altwienerischen kennen überhaupt nur mehr alte Fiaker. Es wäre schade, wenn wir die auch noch verlieren.“ Dass der Dialekt irgendwann ganz ausstirbt, glaubt der Künstler jedoch nicht, auch nicht daran, dass der Dialekt irgendwann nur mehr anhand von Kursen oder als Unterrichtsfach in der Schule überlebt. „Wie soll man einen Gusto auf den Dialekt bekommen, wenn er im Frontalunterricht beigebracht wird? Die Sprache, in der du zum ersten Mal geschmust hast, wird dich mehr interessieren.“

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